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Catharina Conrad

Mit feinen Antennen – mein Kind ist hochsensibel

Zwei Mütter berichten vom Umgang mit ihren einzigartigen Töchtern, von Herausforderungen im Alltag und dem wertvollen Geschenk, das die Sensibilität birgt.


Emma ist hochsensibel. Sie kann laute Geräusche nicht gut ertragen, ist sehr schreckhaft, das Schildchen ihres Pullovers kratzt sie im Nacken und wenn Mama weint, geht ihr das nah, so nah.

Sie ist jetzt vier, doch sie ist wesentlich weiter entwickelt als andere Kinder in ihrem Alter. Kürzlich hat sie im Kindergarten sogar schonmal den Webrahmen ausprobieren dürfen, der sonst den Vorschulkindern vorbehalten ist. Allein vom Zuschauen bei den Älteren hat sie gelernt, wie man ihn verwendet – die Erzieherin brauchte ihr nichts mehr erklären.




Hochsensible Kinder verstehen

Kürzlich hat Opa sie dolle geschimpft, weil sie beim Toben beinahe eine Vase vom Regal geworfen hätte. Daraufhin ist Emma in lautes Schluchzen ausgebrochen. Sie konnte nicht begreifen, dass Opa um ihre Sicherheit besorgt war. Stattdessen dachte sie, er hätte sie nicht mehr lieb. Wie gut, dass Emmas Mama Chrissi es ihr hinterher erklären konnte.


Auch Clara (11) ist hochsensibel. In Umgebungen, die ihr fremd sind, bewegt sie sich unsicher. Manchmal schweigt sie, wenn sie etwas gefragt wird – das Sprechen ist ihr dann rein körperlich nicht mehr möglich. Weil ihr in ihrem Leben bereits oft mit Unverständnis begegnet wurde, kam es manchmal zu Wutausbrüchen, die wiederum ihre Umgebung sehr erschreckt haben. Gefühle potenzieren sich bei Clara oft; es fällt ihr schwer, sie zu filtern und die Gefühle anderer von sich wegzuhalten.

Clara ist überdurchschnittlich intelligent und hat eine hohe Auffassungsgabe. In ihrem Tempo entdeckt sie die Welt, ist auf ihre Art neugierig und wissbegierig. Wenn sie einmal den Mut für eine neue Aufgabe gefunden hat, begreift sie Neues in Rekordgeschwindigkeit und eignet sich Fertigkeiten schneller an als andere Kinder in ihrem Alter. Sie ist vielseitig interessiert, sehr reflektiert, drückt sich gewählt aus, ist schlagfertig und wortgewandt.

Zwei Seiten einer Medaille. Zwei Seiten einer Charaktereigenschaft, über die ca. 10% der Menschen verfügen.


Hochsensibilität ist keine Krankheit, keine Schwäche – nein! Sie ist ein Geschenk! Doch man muss es behutsam auspacken und lernen, damit umzugehen. Als Kind ebenso wie als Elternteil. Und auch das Umfeld kann sich auf die empfindsame Art eines Kindes einstellen.





Gemeinsam reflektieren

Chrissi und Sarah, die Mütter von Emma und Clara, sind beide ebenfalls hochsensibel. Das macht es für sie einfacher, sich in ihre Töchter hineinzuversetzen. Sie kennen aus eigener (teils leidvoller) Erfahrung, was es bedeutet, ein klein wenig anders zu sein. Als Sensibelchen bezeichnet zu werden.

Womöglich Sätze wie „Jetzt stell dich nicht so an“ oder „Da musst du jetzt durch“ anhören zu müssen. Bei ihren Töchtern wollen sie es besser machen! Das ist im Alltag mit Geschwisterkindern nicht immer ganz leicht. Natürlich kann man nicht rund um die Uhr auf die Bedürfnisse des hochsensiblen Kindes eingehen.

Es gilt, die Bedürfnisse aller Familienangehöriger und natürlich auch die eigenen wahrzunehmen und zu würdigen. „Wichtig ist, dass wir in Kontakt bleiben“, sagt Sarah. Immer wieder reflektiert sie gemeinsam mit Clara vergangene Situationen und beide überlegen, wie es in Zukunft besser laufen kann. Wenn Clara in der Schule eine ungute Begegnung hatte, hilft Sarah ihr im Nachhinein, die Perspektive der anderen Beteiligten einzunehmen. Nicht immer fällt es Clara leicht, diese Perspektive zu begreifen. Ihr hat es sehr geholfen, dass sie sich seit ein paar Jahren regelmäßig mit einer Heilpädagogin trifft. Frau Zucker und ihre Handpuppe Schnecki haben Clara gezeigt, welchen Gewinn es haben kann, sich ab und zu mal aus dem Schneckenhaus zu wagen. Zuletzt hat sie es gewagt, ihren Klassenkameraden offen davon zu erzählen, dass sie manchmal einfach nicht mehr sprechen KANN. Selektiven Mutismus nennt man das.

Die Klassenkameraden durften Clara anschließend schriftlich Fragen stellen, die sie zu Hause in Ruhe beantworten konnte. Diese Offenheit hat dazu geführt, dass ihre Klassenkameraden ihr nun mit deutlich mehr Verständnis begegnen und ihr sogar helfen, neue Situationen souverän zu meistern.



Als Eltern sollten wir für unsere hochsensiblen Kinder einstehen

Nächste Woche wird sich zeigen, ob das Netz hält: Clara wird zum ersten Mal mit ins Schullandheim fahren und mehrere Nächte fern von zu Hause übernachten. Sie freut sich riesig, endlich mal das Meer zu sehen. Es gibt auch Dinge, die ihr noch Angst bereiten. Doch gemeinsam mit Sarah hat sie sich für alle Eventualitäten Lösungsansätze überlegt, die sie im Fall der Fälle ausführen kann. Sie fühlt sich gewappnet!

Emma ist noch viel jünger als Clara. Sie besucht den Kindergarten und ist eng mit ihrem Cousin Mats befreundet. Sie will gefordert werden und sucht ständig neue Herausforderungen. Dafür steht ihre Mutter gerne ein. In Gesprächen mit den Erzieherinnen im Kindergarten erklärt sie, dass Emma mehr Anregung braucht als andere Kinder, dass sie häufig mehr kann, schneller lernt, und schafft, was sie sich zutraut. Emma hat das Glück, dass das Kindergartenpersonal verständnisvoll reagiert hat und ihren Wunsch, schnell viel zu lernen, respektiert und ihr wo möglich erfüllt.


Hochsensibilität ist keine Schwäche

Ganz wichtig ist es, die Hochsensibilität weder zu belächeln noch als Schwäche und übertriebene Empfindlichkeit abzutun. Es gilt vielmehr, Verständnis zu zeigen dafür, dass hochsensible Kinder (und Erwachsene übrigens auch) etwas mehr Rückzug und Ruhe brauchen, um all die vielen Sinneseindrücke zu verarbeiten, die ihr Körper wahrnimmt. Dann kann die Hochsensibilität als Schatz entdeckt werden. Hochsensible Menschen nehmen viel intensiver wahr, was eben auch bedeutet, dass sie mehr genießen, mehr fühlen, verständnisvoller sind und sich besser in andere hineinfühlen können. Durch einen achtsamen Umgang mit sich selbst und mit anderen können Menschen mit dieser wertvollen Charaktereigenschaft einigen Gewinn aus ihrem Schatz ziehen – für sich und für andere.



Woran erkenne ich, dass mein Kind hochsensibel ist?


Mögliche Indizien können sein:

  • ständige Anspannung

  • schnelle Reizüberflutung

  • Kind benötigt deutlich mehr Ruhezeiten

  • fremde Orte, Menschen, Gruppen werden mit Vorsicht beäugt und es benötigt viel Einfühlungsvermögen und Geduld, um Vertrauen aufzubauen

  • Geräuschempfindlichkeit

  • Erhöhte Sensibilität der Haut (kann bestimmte Materialien nicht anfassen/tragen, Schilder kratzen stark, Nähte drücken)

  • Stimmungen anderer werden stark mitgefühlt

  • Reisekrankheit

  • Rituale sind sehr wichtig

  • Gefühle sind übermächtig

  • Ängste/Unsicherheiten vor Dingen/Menschen ohne erkennbare Ursache

  • viel Geschrei und Unruhe

  • verweigert ärztliche Untersuchungen

  • starkes Bedürfnis nach Harmonie

  • stellt viele Hintergrundfragen, durchdenkt Dinge sehr detailliert


Im Internet findet man inzwischen viele gute Selbsttests, um herauszufinden, ob man selbst oder das eigene Kind hochsensibel ist, z.B. unter zartbesaitet.net.


 

Autorin: Catharina Conrad

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